Welche Auswirkungen die digitale Transformation auf den Arbeitsmarkt hat

Immer mehr Routinearbeiten können automatisiert werden. Was bedeutet das für die Beschäftigten? Foto: Annie Spratt, Unsplash

Eine Transformation der Wirtschaft in Deutschland erscheint im Angesicht der vielen gesellschaftlichen Herausforderungen notwendig. Welche Umwälzungen aber im Arbeitsleben durch diese digitale Transformation, etwa durch den Einsatz von Automationen, KI und Machine Learning zu erwarten sind, damit beschäftigt sich ein aktuelles Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Wir fassen die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Gutachten zusammen.   

Berufe sind im Zeitverlauf immer wieder verschwunden, Tätigkeiten wurden durch Maschinen ersetzt. Aber komplementär zu den neuen Technologien entstanden auch wieder neue Tätigkeiten. Die Nachfrage nach menschlicher Arbeitskraft nahm insgesamt durch Technologien nicht ab. Stattdessen stiegen mit Arbeitsproduktivität auch langfristig Reallöhne und Lebensstandards. In Deutschland hat aber der aufkommende Einsatz von Industrierobotern im verarbeitenden Gewerbe in den 1990ern zu Strukturbrüchen geführt, die allerdings abgefedert wurden durch die Anpassungsfähigkeit der Beschäftigten und betriebsinterne Weiterbildungen.  

Eine Massenarbeitslosigkeit ist nicht zu befürchten, allein wegen des Fachkräftemangels durch den Renteneintritt der Babyboomer bis 2030. Aber die Transformation könnte zu sog. Mismatch zwischen Qualifikationen und den Arbeitsmarkt-Anforderungen führen. Ein Arbeitsplatzverlust ist dann möglich, wenn bisher vom Menschen durchgeführte Tätigkeiten durch Technologieeinsatz erledigt werden. So kann es trotz der des demografisch bedingten Fachkräftemangels gleichzeitig auch zu Arbeitslosigkeit kommen.  

Welche Effekte Industrieroboter auf den Arbeitsmarkt im verarbeitenden Gewerbe hatten

Die Einführung von Industrierobotern in den 1990er Jahren führte zu Umbrüchen auf dem deutschen Arbeitsmarkt und stellt eine gut untersuchte, durch Technologie getriebene Transformation dar: 

  • Der Beschäftigungsrückgang im verarbeitenden Gewerbe war langfristig nur gering und konnte insgesamt aufgefangen werden, z.B. durch Zugewinne in anderen Branchen 
  • Der Rückgang und der Strukturwandel waren nicht disruptiv, sondern wurden abgefedert durch das Nicht-Wiederbesetzen von Stellen nach Erreichen von Altersgrenzen der Beschäftigten und Verschiebungen der Berufseinstiege hin zu wirtschaftsnahen Dienstleistungen 
  • In Deutschland scheinen besonders zwei Gründe dazu geführt zu haben, dass die Robotisierung nicht in dem Maße zu Jobverlusten in der Industrie geführt hat, wie in anderen Ländern
    1. Stammpersonal wurde unternehmensintern entsprechend der neuen Anforderungen weitergebildet und umgeschult. Dies gelang tendenziell in Regionen mit höherem gewerkschaftlichen Organisationsgrad 
    2. Viele von der Robotisierung betroffene Industrieunternehmen waren globale Branchenführer, etwa in der Automobilindustrie, die ihre Produktivität, Marktposition und Beschäftigung durch weiteren Technologieeinsatz tendenziell ausbauen konnten. Die negativen Beschäftigungseffekte konzentrierten sich bei Unternehmen, die entsprechende Technologien weniger oder gar nicht verwendeten 
  • Es zeigten sich aber auch Verteilungseffekt mit überproportionalen Einkommensgewinnen bei den Kapitaleigentümer:innen und hoch qualifizierten Beschäftigten und Verlusten bei Facharbeitern:innen im mittleren Lohnsegment. Besonders hoch waren die Einkommensverluste, wenn der Arbeitsplatz nicht gesichert wurde, sondern gewechselt werden musste 

Was KI und Co. bewirken könnten 

Anders als bei den mittlerweile etablierten Industrierobotern lässt sich bei noch sehr neuen Technologien wie Künstlicher Intelligenz noch nicht auf Zahlen zu den Arbeitsmarkteffekten zugreifen. Bisherige Studien nutzen hauptsächlich Daten aus Unternehmensbefragungen und darauf basierende Prognosen sind weit höheren Unsicherheiten verbunden.  

Mensch vs. Maschine – Wo liegen die jeweiligen Stärken? 

  • Die Digitalisierung führt oft zu einer höheren Produktivität der Arbeitnehmer:innen 
  • In Entscheidungen nimmt der komparative Vorteil des Menschen durch seine kognitiven Fähigkeiten immer weiter ab. Aber Menschen sind eingebettet in ihren sozialen Kontext, welcher beeinflusst, welche Informationen sie beachten, welche Normen wichtig sind und wie sie Entscheidungen kommunizieren 
  • Menschen sind menschliche Unzulänglichkeiten gewohnt. Sie wissen, wie fehlbar menschliche Urteile oder Entscheidungen sein können. Diese Fähigkeit ist in Bezug auf Computer nicht so sehr ausgeprägt 
  • Deswegen sind Entscheidungen durch Algorithmen bisher eher seltener, als menschliche Entscheidungen, zu denen Computer einen Beitrag leisten. Menschlichen Entscheidungsträgern sind im Gegensatz zu Deep-Learning-Algorithmen im Vorteil, wenn es darum geht, eine Entscheidung nachvollziehbar zu begründen 

Welche Arbeitsmarkteffekte die Unternehmen erwarten

Unternehmensbefragungen liefern Informationen, welche Technologien Unternehmen planen in den nächsten Jahren einzuführen und welche Berufe daraufhin in welchem Maße auf- bzw. abgebaut werden sollen. Dabei kann man nur noch mal betonen, dass diese Blicke in die Zukunft mit viel höheren Unsicherheiten verbunden sind als die Rückschau auf vergangene vergleichbare Entwicklungen. Drei zentrale Erkenntnisse aus diesen Unternehmensbefragungen: 

  1. Mehr als 70 Prozent der befragten Unternehmen, wollen künftig verstärkt auf Machine Learning, Big Data Analysen und das Internet der Dinge setzen 
  2. Ein Arbeitsplatzabbau wird bei Tätigkeitsprofilen mit hohem Anteil an manuellen oder kognitiven Routinetätigkeiten erwartet. Dazu gehören z.B. Sachbearbeiter:innen, LKW-Fahrer:innen und Rechtsanwält:innen. Ein hohes Substitutionspotential liegt bei hohem Routinegrad vor, oft bei Berufen des mittleren Qualifikations- und Lohnspektrums. Weniger gefährdet sind Berufe, deren Alltag durch kreative und/oder nicht standardisierte Abläufe geprägt sind. Ein Arbeitsplatzaufbau wird einerseits in Berufen mit direktem Bezug zu den jeweiligen Technologien erwartet, wie Programmierer:innen und Datenanalyst:innen. Anderseits wird ein Ausbau in Berufen erwartet, in den der Mensch einen komparativen Vorteil gegenüber den Technologien hat, in denen es auf soziale und kommunikative Fähigkeiten ankommt. 
  3. In den Befragungen wird meist ein neutraler bis leicht positiver Effekt auf die Gesamtbeschäftigung erwartet. Dabei würden abgebaute Arbeitsplätze durch neu geschaffene andere Arbeitsplätze ausgeglichen werden. Da aber Großunternehmen mit hohem Technologieeinsatz in den Befragungen überrepräsentiert sind, könnte diese Erwartung verzerrt sein. Kleinere Unternehmen sind vom Abbau stärker gefährdet, da sie die neuen Technologien nicht in gleichem Maße einsetzen können und schließlich Marktanteile verlieren könnten 

Qualifikatorischer und regionaler Mismatch 

  • Wenn Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt nicht zusammenpassen, spricht man von einem Mismatch. Ein solcher ist durch den Abbau von Arbeitsplätzen mit hohem Routineanteil und gleichzeitig steigender Nachfrage in anderen Sektoren mit Technologie-Bezug zu erwarten. Es kommt zu kurzfristigen individuellen Arbeitsplatzverlusten mit drohender Langzeitarbeitslosigkeit. Langfristig lösen sich die Mismatches durch junge, neu in den Arbeitsmarkt eintretende, Personen auf.  
  • Die Unterschiede im Lohn- und Einkommensniveau zwischen Stadt und Land sind in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern moderat, haben aber deutlich zugenommen. Die oben beschriebenen Verschiebungen der nachgefragten Berufe könnten, wie schon in anderen Ländern, auch in Deutschland dazu führen, dass Arbeitsplätze eher in ländlichen Regionen abgebaut und in Metropolregionen aufgebaut werden.  

Einkommensungleichheiten im Zuge der digitalen Transformation 

  • Der technologische Wandel der letzten Jahrzehnte war eine Ursache für zunehmende Einkommensungleichheit. Hochqualifizierte profitierten und Niedrigqualifizierte waren von Einbußen betroffen. Es ist damit zu rechnen, dass diese Ungleichheit durch weitere Automatisierung und KI verstärkt wird.  
  • Wirtschaftspolitische Eingriffe könnten Beschäftigung, Lohn und Produktivität bei Jobs mit kleinem und mittlerem Einkommen verbessern  

Wirtschaftspolitische Handlungsempfehlungen des Beirates 

Im Gutachten werden also zwei zentrale Problemfelder ausgemacht: 

    1. qualifikatorischer und regionaler Mismatch 
    2. steigende Lohn- und Einkommensungleichheit

Gegen beides hilft ein digitaler Aufholprozess der Wirtschaft: 

  • im Bereich KI bestehen erhebliche Defizite und Aufholbedarfe, für die „datenhungrige“ KI-Formen muss die kooperative Datennutzung mehrerer Unternehmen ermöglicht werden 
  • Institutionen, die Technologietransfers fördern und das Entrepreneurship an Hochschulen müssen gestärkt werden 
  • Wagniskapital bei neuen digitalen Technologien staatlich bis zur Marktreife fördern 
  • eine „lernende Regulierung“ im Dialog zwischen Forschung, Wirtschaft und öffentlichem Sektor etablieren 

Eine umfassende Aus- und Weiterbildungsstrategie soll Mismatches am Arbeitsmarkt entgegenwirken: 

  • Aufbau eines an das duale Ausbildungssystem angelehntes flächendeckendes Weiterbildungssystem. Besonders Facharbeiter:innen werden stark betroffen sein und sollen signalstarke Bildungszertifikate erlangen können 
  • Die (Finanzierungs-)Last sollen wie im dualen Ausbildungssystem die Bildungsteilnehmer:innen, Unternehmen und Staat aufgeteilt werden. Die dabei von Berufskammern organisierten Prüfungen würde dabei die Standardisierung des Erlernten sicherstellen 
  • Der Beirat regt für die Ausgestaltung dieses Weiterbildungssystems einen runden Tisch aus Sozialpartnern, Politik, Weiterbildungsanbietern und Wissenschaft an.

 

Unter Zahlen, Daten, Fakten gelangen Sie zu weiteren Zusammenfassungen von relevanten Studien, Befragungen und Forschungsgutachten.

Beitrag veröffentlicht am 26. August 2022 und zuletzt aktualisiert am 6. September 2022.